Rezension: “The Power” von Naomi Alderman

Es kommt nicht oft vor, dass ein Buch mich völlig umhaut, meine ganze Denkweise umkrempelt und mich sprachlos zurücklässt. Dieses Buch ist aber eines davon! Und es ist verdammt gut!

Unter der Prämisse, dass alle Frauen auf der Welt plötzlich entdecken, dass sie eine Kraft haben, die die Männer nicht haben, verändert sich die ganze Welt in einem rasendem Tempo.

Was “The Power” zu einem modernen Klassiker macht, versuche ich in meiner Rezension zu erkären:


Bibliographische Daten

  • Autor: Naomi Alderman
  • Genre: Dystopie / Belletristik
  • Verlag: Penguin Books
  • Seitenzahl: 339 S.

Kurzbeschreibung

All over the world women are discovering they have the power.

With a flick of the fingers they can inflinct terrible pain – even death.

Suddenly, every man on the planet finds they’ve lost control.

The day of the girls has arrived – but where will it end?


Eigene Meinung

POSITIV

  • Ein Buch in einem Buch

Jap, das hier ist nicht einfach nur ein Buch, sondern es ist vorne und hinten durch einen Briefwechsel zwischen einem männlichen und einem weiblichen Autor begleitet, die zuerst sehr verwirrend erscheinen, allerdings im Nachhinein nicht nur sehr viel Sinn ergeben, sondern der ganzen Geschichte den letzten Schliff verpassen, sie erst richtig zur Dystopie machen, sie unvergleichlich machen.

Diese Briefwechsel handeln davon, dass “The Power” die Entstehungsgeschichte davon ist, wie Frauen entdeckt haben, dass sie durch ein Extra-Organ elektrische Stöße durch ihren Körper schicken können und diese dann an die Umwelt abgeben können. “The Power” ist dabei ein “historischer Roman”, daher wird uns dieses Buch sozusagen aus der imaginären Zukunft nach dieser Entdeckung geliefert.

Wenn ihr mich fragt, ist dieses Verschwurbelte schon sehr cool gemacht! Das Licht, dass einem am Ende aufgeht und mit dem man dann mit einem lachenden und einem weinenden Auge dasitzt, ist ein echtes Erlebnis!

Alderman_The Power_5.jpg

  • Vier unterschiedliche Erzählweisen

Dieser Roman wird aus vier Sichten erzählt, die alle einen Teil des Plots tragen und zum großen Ereignis am Ende des Buches führen. Diese sind komplex, über die ganze Welt verteilt, und haben alle ihre Gründe, mit dieser Welt schon längst abgeschlossen zu haben – aber sie machen weiter und schlagen sich durch in dieser neuen Weltordnung, die sie alle unterschiedlich wahrnehmen. Die Charaktere sind alle stark, unabhängig, lassen sich nichts vorschreiben und sind unfassbar mutig.

Das hindert sie allerdings auch nicht daran, Fehler zu machen, diese zu bereuen und immer wieder aufzustehen und für ihre Ideale zu kämpfen.

Daher kann ich nur sagen, dass hier eine exzellente Truppe an Charakteren zusammengestellt wurde, die alle so unterschiedlich sind, dass sie sich in ihrer Art, vom Leser bewundert zu werden, wieder bündeln.

Margot, die Politikerin, Tunde, der Journalist, Roxy, die Kriminelle, und Allie, die Heilige.

Sie alle haben dieses Buch in der Hand.

Alderman_The Power_2.jpg

  • Skizzen und Zeichnungen von “Artefakten”

Ich habe ja gerade schon angedeutet, dass dieses Buch aus einer fiktiven Zukunft stammt und sich damit befasst, wie diese entstanden ist. Dazu werden immer mal wieder Zeichnungen von Artefakten, Internetprotokolle und ähnliches eingefügt, die den Leser erstmal gründlich verwirren, bevor sie am Ende einen ganz erschreckenden Blick auf das werfen, was geschehen ist.

Alleine die Mühe, die dies gemacht haben muss, alleine, weil es so verdammt echt wirkt, ist eine Erwähnung wert!

Die zukünftige Welt wirkt dadurch ohne direkte Erzählung aus ihr genauso plastisch wie “unsere” Welt, in der die ganze Geschichte sich abspielt.

(Und ich bin sowieso immer für Bilder in Büchern! :D)

Alderman_The Power_4.jpg

  • Spiel mit Sexismus und Vorurteilen

Hier wird einfach mal so die ganze Weltordnung umgedreht. Wortwörtlich. Und es wird beobachtet, wie die Welt so darauf reagiert. Das reicht von der Befreiung der Frauen in frauenfeindlichen Kulturen bis zum Unterdrücken der Fähigkeiten in Amerika.

Da jetzt die Frauen in der Übermacht sind und mächtiger sind als die Männer, findet ein Umdenken statt. Und zwar schneller als man denkt.

Dieses Buch setzt sich sehr effektiv mit der Frage auseinander, was passieren würde, wenn anhaltender Sexismus aufgrund von Macht sich in die andere Richtung begeben würde.

Was wäre, wenn Frauen als das “mächtige” Geschlecht angesehen werden würden? Was wäre, wenn Eltern ihre Jungs aus Angst vor Mädels nicht mehr rauslassen würden? Was wäre, wenn alle Vorurteile in der Gesellschaft umgedreht würden, keine Gültigkeit mehr besitzen und sich schließlich ins Gegenteil verkehren.

Diese Frage stellt sich das Buch und es gibt mindestens 3 Erlebnisse in diesem Buch, die einem klar vor Augen führen, wie bescheuert diese Vorurteile sind, vergleicht sie mit uns und sieht: Ups, ist ja nur der Mann statt einer Frau.

Es hält effektiv den Spiegel vor, es nimmt kein Blatt vor den Mund, es erschreckt und rüttelt wach.

Haltet dieses Buch jedem unter die Nase, der denkt, dass kein Sexismus mehr in der Gesellschaft existiert! Wer es danach immer noch abstreitet, den kann man völlig vergessen!

  • Was könnte das noch rein? Genau, Religion!

Allie ist ein Mädchen, welches eine Stimme hört. Jaja, sie ist crazy und alles, aber in diesem Buch nicht. Die Stimme scheint immer genau zu wissen, was sie tun soll, was ihr nächster Schritt ist und wie sie die Welt verändern kann.

Auf dem Rücken dieser Stimme und ihren Fähigkeiten gründet Allie das Christentum einfach mal neu, macht aus Gott nicht mehr einen ER, sondern eine SIE und erklärt Maria und Eva zu den neuen höchsten Heiligen. Die Mutterschaft wird verehrt.

Und ohne große Reden über Gott zu schwingen oder riesige Gedankenschlangen zu analysieren, wird das so akzeptiert, ein Gott existiert oder soll zumindest existieren und ganz am Ende des Buchs werden dem Leser daran alle Zweifel genommen.

Dieser Umgang mit Religion ist für mich zumindest ne, denn in den meisten Büchern ist sie entweder der Ursprung alles Bösen oder einfach nur eine lästige Nebensache. Hier wird Gott besprochen, ohne, dass er/sie besprochen wird. Das war … wahnsinnig interessant! Wahnsinnig neu, kreativ und komisch beruhigend.

Der gesamte Handlungsstrang der Religion hat mich sehr fasziniert und am Ende einmal völlig aus den Socken gehauen. Sehr cool gemacht!

NEGATIV

Alderman_The Power_3.jpg

  • Zeitweiliger Verlust des Erzähltempos

Ich habe das Buch mit Mareike von Bücherkrähe gekauft und angefangen zu lesen. Wir beide waren uns einig, dass die ersten Seiten sehr viel Potenzial versprachen, aber nach diesen war das Erzähltempo zumindest für eine Weile sehr unregelmäßig.

Man musste sich fast zwingen, weiter zu lesen, allerdings habe ich dies dank meines Interesses überwunden und wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, dass man hier wirklich jeden Satz gewissentlich lesen muss und der Erzählstil schnell zwischen langsamer Entwicklung und spannender Szene wechseln kann!

(Das ist aber wirklich Meckern auf höchstem Niveau! :D)


Fazit

Ich dachte, an Dystopien hätte ich mich langsam überlesen. Aber “The Power” hat alle seine Preise und Auszeichnungen völlig zurecht erhalten! Ich hatte das Gefühl, einen modernen Klassiker zu lesen, welcher mich genauso aufrüttelte, wie “1984” und das muss man erstmal schaffen! Dieses Buch besticht nicht nur durch seine vier Perspektiven, sondern auch seine Metaphorik, durch die es die sexistischen Mechanismen in unserer Gesellschaft aufdeckt, verdreht und unkenntlich macht. Durch die vielen Perspektiven, den exquisiten Schreibstil und die Vielschichtigkeit konnte dieser Roman mich völlig überzeugen!

Tintenkleckse_5

5 von 5 Tintenklecksen!

 

15 Comments

  1. Pingback: Rezension: "Die Gabe" - Naomi Alderman | Tales and Memories

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*