Mir fällt in Jugendromanen, die ja nun mal Hauptbestandteil meines Blogs sind, immer wieder auf, dass die Protagonisten der Bücher absolut unscheinbar sind.
Sei es nur zu Anfang, um eine große Charakterentwicklung zu erleben, oder durch die ganze Handlung hindurch.
Immer wieder fällt mir auf, dass die Protagonistinnen von Jugendromanen sich trotz verschiedener Lebensweisen, Interessen und (angeblicher) Charaktereigenschaften fast gar nicht voneinander unterscheiden und in ihren Entscheidungen, Gedanken und Handlungen austauschbarer nicht sein könnten.
Woran liegt das? Ist das Absicht der Autoren? Und was macht das mit unserem Leseverhalten?
Ich habe in anderen Beiträgen schon mal erwähnt, dass es mir immer öfter so vorkommt, dass Protagonistinnen aus Jugendbüchern sich immer mehr ähneln und vor allem in ihren Handlungen immer sehr austauschbar sind.
Wenn wir einmal außer acht lassen, dass sich natürlich mit dem Lesen vieler Jugendbücher auch eine Art Überfüllungssyndrom einstellt und man ganz eigene Klischees und Wiederholungen in diesem Genre festhalten und identifizieren kann, bilden die Protagonistinnen immer noch eine ganz besondere Art von Klischee, oder besser gesagt: Eine Art so vollkommener Gleichheit, dass sie fast nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Viele der Protagonistinnen sind bekanntermaßen noch in der Schule, die Leserinnen sollen sich ja identifizieren können, sind da diejenigen, die immer ihre Hausaufgaben machen, ein wenig schüchtern sind, aber ansonsten natürlich super in der Schule. Sie haben wenige, wenn nicht keine Freunde, und einen Jungen, auf den sie natürlich total abfahren.
Diese äußeren Umstände sind das erste, dass diese Mädchen gleich macht und ihnen schon von der Prämisse des Buches aus keine weiteren Charaktereigenschaften zuweist.
Natürlich ändern sich diese Umstände, wenn wir in den Fantasy-Bereich gehen, oder in den Mystery-Thriller, aber trotzdem fallen dort gleiche Gedankenmuster auf.
Ein Merkmal, was viele der Protagonistinnen gleich zu haben scheinen: Sie sind unschuldig. Und das im reinsten Sinne des Wortes. Sie sind naiv in ihrer Denkweise, nicht erwachsen in ihrer Handlungsweise und generell unwissend, was vieles um sie herum angeht.
In “Obsidian” hat Katy absolut keine Ahnung von nichts, bis sie von Daemon in seine Machenschaften hinein gezogen wird und bleibt die ganze Reihe hinweg verdammt naiv, was Verhaltensweisen und Konsequenzen ihrer und anderer Handlungen angeht.
In “Wie Monde so silbern” hat Cinder zwar ihren eigenen Shop, ist aber trotzdem irgendwie nicht sehr verbunden mit der Welt in der sie lebt.
“Rubinrot” zeigt uns, wie man quasi ohne Plan, ohne Wissen und ohne generelle Vorstellungskraft ganze drei Bände mit Zeitreisen überstehen kann und dabei noch naive Beziehungen aufbauen und wieder zerstören kann.
Und “City of Bones” ist genial darin, eine Protagonistin ihr ganzes Leben lang nichts von ihrer Bestimmung wissen zu lassen, sie dann in einen Pool voller magischer Wesen zu schmeißen und gleichzeitig zu verlangen, dass sie die mächtigste Waffe der ganzen Schattenjäger wird, während alle um sie herum zu wissen scheinen, dass ein gewisser blonder Schattenjäger gar nicht ihr Bruder ist, außer ihr (Hups, Spoiler!)
Und von Bella aus “Twilight” will ich wirklich gar nicht erst anfangen. Ich meine, Edward sagt ganz frei heraus, dass er ihre Unschuld anziehend findet…
Warum sind die Protagonistinnen so?
Es gibt eigentlich einen ganz einfachen Grund, warum Protagonistinnen so geschrieben werden, wie sie es nun mal werden: Sie sollen die Leserinnen widerspiegeln und ihnen sympathisch erscheinen.
Und da die angepeilte Zielgruppe für Jugendbücher nun mal um die 12-17 Jahre alt ist, sollen diese sich so fühlen, als wäre die Protagonistin ihre Freundin oder zumindest so wie sie, damit sie ihre Gedanken und Handlungen besser nachvollziehen können.
Und wer liest denn Jugendbücher? Bestimmt nicht die coolen Kids, die sich heutzutage (aber auch vor einigen Jahrzehnten) lieber mit potenziellen Freunden oder Freundinnen, Make-Up und sozialen Netzwerken beschäftigen. Sondern die leisen Mädchen, die sich vielleicht in ihrer Haut auch nicht unglaublich wohlfühlen, still und introvertiert ihr Leben leben und in Büchern ein großes Abenteuer sehen und suchen.
Wenn die Protagonistin viele ansprechen soll, dann muss sie entweder so viele Charaktereigenschaften und Entwicklungen haben, dass man sie als Leser zu schätzen weiß, oder sie muss eine leere Wand für den Leser sein, damit er sich selbst in die Rolle hinein projizieren kann.
Warum hatte Bella aus Twilight denn den ganzen Tag nichts anderes zu tun als zu kochen und Hausaufgaben zu machen? Bestimmt nicht, damit ihr Charakter an Tiefe gewinnt.
(Dieser fehlende Charakter führt dann auch dazu, dass die gegenüberstehenden Love Interests nie erklären, was sie denn so toll an den Protagonistinnen finden: Es gibt ja keine Eigenschaften, über die man sprechen könnte.)
Warum war denn Katy aus “Obsidian” generell ziemlich…unbeschäftigt? Keine Hobbys, außer das allseits bekannte Buchbloggen, was aber auch mehr…sporadisch geschah. Ansonsten war sie immer frei, konnte immer ausgehen und auch mal tagelang fehlen. Fällt ja eh keinem auf!
Warum war Kelsey aus “Der Kuss des Tigers” generell einfach hobbylos, bis sie einem weißen Tiger im Zirkus über den Weg gelaufen ist und ihn und seinen Bruder drei Mal durch halb Indien begleitet?
Genau! Damit sie genug Zeit haben, um dem männlichen Counterpart in seiner Suche oder seiner Abwehr der Auslöschung der Menschheit beizustehen und dabei von keinen Verpflichtungen wie Freunden, Hausaufgaben, Familien oder gar zu vielen Hobbys abgelenkt wird!
Eine leere Tafel als Sympathieträger?
Auch wird manchmal behauptet, dass die Charakter am Anfang eher arm an eigentlichem Charakter seien, läge daran, dass sie im weiteren Verlauf eine große Entwicklung durchmachen und diese dann noch drastischer wirkt und den Leser völlig verblüfft.
Dagegen spricht allerdings, dass es doch ein wenig viel versprochen ist, dass sich das viel besprochene Mauerblümchen auf einmal in eine selbstbewusste junge Frau verwandelt, die alle ihre Probleme löst (oder eher lösen lässt). Es wirkt „Out of character“, wenn eine so starke Entwicklung stattfindet, wo vorher kein Potenzial zu eben so einer gesehen werden kann.
Es gibt natürlich auch Ausnahmen:
Katniss aus “Die Tribute von Panem”. Kommt schon, sie hatte von Anfang an das Potenzial zu einem Badass-Charakter, aber sie war es einfach noch nicht, bis sie in eine solche Situation gezwängt wurde!
Annabeth aus “Percy Jackson” war anfangs noch etwas schüchtern und immer auf zack, wenn es darum ging, anderen Leuten zu zeigen, wie schlau sie und wie dumm andere sind. Aber mit der Zeit wird sie zu einer verantwortungsbewussten Heldin, die auch mal andere ans Steuer lassen kann, aber immer mit einem super Plan zur Seite steht und ihre Schwächen einsehen kann!
Celaena aus “Throne of Glass” hatte vom ersten Buch an das Potenzial zu einer tollen Entwicklung, aber ihre Fähigkeiten wirklich sehen, das kann man erst im zweiten und in den nachfolgenden Büchern der Reihe, wo sie sich stetig in einen absolut starken und wundervollen Charakter entwickelt und stärker wird, als ich es ihr jemals zugetraut hätte!
Diese Bücher erobern mittlerweile auch den Markt und zumindest aus meiner eingeschränkten Perspektive wird nun mehr Wert auf starke Charaktere als leere Tafeln gelegt, die man mit eigener Fantasie füllen muss.
Allerdings existieren diese Klischees und Tendenzen der Autoren immer noch und sie lassen sich nicht einfach so wegschieben oder wegdiskutieren.
Was macht das also mit der Wahrnehmung der Leserinnen?
Das könnte alles mögliche machen. Viele junge Mädchen wissen nicht sofort, was sie interessiert, wo ihre Stärken liegen, was sie gerne machen oder machen möchten und wie sie für sich selbst und andere tolle Menschen sein können.
Daher könnten sie sich in solche Charaktere gut hineinversetzen oder diese gut verstehen.
Es könnte aber auch der gegenteilige Effekt sein: Sei langweilig und ein total interessanter Junge wird auftauchen, der dir dein Leben total aufregend gestaltet, wenn du nur immer für ihn da bist!
Dieses Bild würde ich ungerne an die neue Generation weitergeben.
Ich würde viel lieber ein Bild von Mädchen mit Hobbys, ganz vielen verschiedenen Hobbys, Interessen, Spaß an Schule, mit einem großen Freundeskreis, mit einem komplizierten Familienleben und all dem sehen, was im realen Leben so passiert.
Denn ansonsten würden wir doch alle nur Zuhause sitzen und absolut nichts tun, oder?
Fazit: Ist das jetzt gut oder schlecht oder sogar beides?
Eine Projektionsfläche für die eigenen Wünsche und Träume zu haben, ist immer super und ich will dies auch niemandem wegnehmen.
Ich habe mich in so viele dieser Protagonistinnen hinein versetzt und mit ihnen mitgefiebert, dass es unfair von mir wäre, ihre charakterbildende Wirkung zu unterschlagen oder weg zu diskutieren.
Aber ich fände es eben auch toll, wenn sich a) nicht nur Mädchen, b) nicht nur weiße Mädchen, c) nicht nur cisgender weiße Mädchen und d) nicht nur heterosexuelle cisgender weiße Mädchen repräsentiert sehen würden.
Und, dass ein breiteres Spektrum an Interessen da ist. Ja, viele Autorinnen sind selber große Fans von Büchern, aber nicht jeder auf diesem Planeten fühlt sich so. Manche lieben Fashion, Programmieren, selber Filme zu drehen, Malen, Kreativ sein oder einfach nur rausgehen und viel Sport treiben, ohne dabei gleich auf der nationalen Ebene mitzumischen.
Ich möchte einfach, dass sich stärkere Charaktere ausbilden, zu denen man aufsehen kann und bei denen man vielleicht auch mal sagen kann: Ne, so bin ich nicht.
Denn auch Abgrenzung von einem bestimmten Bild kann das Selbstbild super formen!
Ausblick: Wird sich dieses Bild der jugendlichen Protagonistin ändern?
Ich denke: Ja!
Man sieht in den letzten Jahren und Monaten einen tollen Trend, der sich in die Richtung bewegt, dass Protagonistinnen keine leeren und austauschbaren Scheiben mehr sind, sondern wirkliche Personen, die einem über den Weg laufen könnten. Mit echten Interessen und mit anderen Hintergründen, anderen Sexualitäten, anderen Leben.
Gute Beispiele hierfür sind “The Hate U Give” von Angie Thomas, “Das Lied der Krähen” von Leigh Bardugo, “Magnus Chase” von Rick Riordan, “Ich gebe dir die Sonne” von Jandy Nelson, (fast) alle Bücher von Holly Bourne und “Fangirl” und “Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow” von Rainbow Rowell.
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