“Bus 57” von Dashka Slater | Rezension

So unaufregend wie dieser Titel klingt, so wichtig und erschreckend ist der Inhalt dieses Jugendbuches: Ein agender Jugendlicher wird von einem schwarzen Jugendlichen angezündet. Im Bus. Was dazu führte, wer die beiden Personen eigentlich sind und was sie beide befürchten, als der damit verbundene Gerichtsprozess anfängt, damit befasst sich “Bus 57”. Eindringlich. Aufrüttelnd. Wahnsinnig wichtig.


Bibliographische Daten

  • Autorin: Dashka Slater
  • Genre: Jugendbuch
  • Verlag: Loewe
  • Übersetzerin: Ann Lecker
  • Seitenzahl: 391 S.
  • ISBN: 978-3-7432-0363-1

Kurzbeschreibung

Der Bus der Linie 57 ist das Einzige, was Sasha und Richard miteinander verbindet. Richard ist Afroamerikaner, geht auf eine öffentliche Schule und hat gerade einen längeren Aufenthalt in einer betreuten Wohngruppe für jugendliche Straftäter hinter sich. Sasha ist weiß, besucht eine Privatschule und identifiziert sich selbst als agender. Nur acht Minuten täglich verbringen Sasha und Richard gemeinsam den Bus 57. Bis zu dem Tag, als Sasha den langen weißen Rock trägt und Richard ihn anzündet.

Dashka Slater hat den nachfolgenden Gerichtsprozess monatelang verfolgt, mit Beteiligten gesprochen und die Hintergründe recherchiert. Bus 57 ist die akribische Dokumentation eines berührenden Falles, der tragischen Verstrickung zweier Jugendlicher, die doch nur eines wollen: glücklich sein, trotz allem.


Vielen Dank an den Loewe Verlag für das Rezensionsexemplar!



Eigene Meinung

POSITIV

  • Das Vorstellen der beiden Protagonistinnen

Das Buch beginnt nicht wirklich damit, wie das, was das Verbrechen darstellt, begangen wird, sondern damit, dass beide Protagonisten ganz ausführlich beschrieben werden. Ihre Leben und ihr Werdegang wird beleuchtet, wie sie von anderen Menschen gesehen werden und wichtige Momente ihrer Laufbahn werden skizziert, damit wir uns ein Bild davon machen können, wer die beiden Parteien in diesem Fall sind und warum dieser Fall so außergewöhnlich zu sein schien. Das hat mir sehr gut gefallen, da man so eine Sympathie zu beiden aufbaut und definitiv nicht direkt auf einer Seite steht, was wohl auch das ist, womit sich jeder Richter konfrontiert sieht.

  • Anschauliche Fehler des amerikanischen Justizsystems

Ich finde das amerikanische Justizsystem zeitweise eh einfach nur lächerlich. Aber da wir im Detail erfahren, wie hier der Prozess aussieht, war ich teilweise einfach nur wütend. Denn man merkte dem Täter klar einen Willen an, sich zu bessern. Er war sehr traurig, entschuldigte sich und trotzdem sagte die Richter*in man solle ihn im Erwachsenengericht verurteilen, ließ Dinge immer wieder vertagen oder zog Angebote wieder zurück. Die Strafe, die dieser Täter bekam, ist vergleichsweise sehr hart, allerdings hat das Gericht hier auch einige Fehler gemacht. Dieser Prozess war in diesem Buch erstaunlich gut dargestellt.

  • Institutioneller Rassismus wird gut dargestellt

Auch erfahren wir ein bisschen was über institutionellen Rassismus. Da immer wieder auf dem schwarzen Täter rumgehackt wird, die Cops ihn nicht ernst nehmen, er immer wieder härter bestraft wird als Weiße und auch einfach teilweise übergangen wird, werden seine Strafen und seine Verweise immer schlimmer, obwohl er sich eigentlich nur versucht zu bessern! Diese Art, wie mit dem Jugendlchen umgegangen wird und die Verhältnisse einiger schwarzer Gefangener geschildert werden, kann einem aufgrund so offensichtlichem Rassismus schon mal alles kalt den Rücken runterlaufen.

  • Aber ebenfalls institutionelle Queerfeindlichkeit

Da Sasha ja agender ist, erfahren wir hier, wie sier (so wird sier im Buch genannt, es ist ein “Neopronomen”) lebt und wie sier darauf kommt, ein neues Leben zu beginnen. Dabei werden jede Menge seiner Freunde und Schulkameraden zitiert und kommen zu Wort. Man merkt eigentlich immer, dass Sasha halt ein wenig anders, aber definitiv ein richtig cooler Mensch ist. Daher tut es umso mehr weh, wenn man sieht, dass die Presse sier nach dem Unfall als “Mann” oder “Jungen” bezeichnete, dass viele der schwarzen Jugendlichen absolut homophob waren und viele viele Leute auch gar nicht verstehen wollten, was Sasha ist. Allerdings war gerade sien Supportnetzwerk von Freunden so toll dargestellt, dass ich sie alle lieben gelernt habe!

  • Ausgewogene Betrachtung von beiden Seiten

Ich war von Anfang an skeptisch, ob man diese Geschichte wirklich von beiden Seiten erzählen kann und soll, denn von meiner Warte aus handelte es sich einfach nur um eine queerfeindliche Aktion, die ich absolut nicht befürworten konnte. Das kann ich natürlich noch immer nicht, aber ich kann halbwegs verstehen, warum dieser junge Mann sich zu der Tat verleiten ließ. Sie ist immer noch absolut grausam, aber dieser Mensch hatte ebenso seine Verleitungen, seine Probleme und doofe Freunde, die ihm absolut nicht gut taten. Daher verbeuge ich mich vor der Autorin, die es so authentisch geschafft hat, mich mit beiden Seiten mitfühlen zu lassen und eine ausgewogene Meinung zu fällen, die an keiner Stelle vorgegeben wird.

  • Ich war absolut gefesselt!

Es passiert mir immer weniger, dass ich tatsächlich völlig in einem Buch versinken kann und immer wieder zu diesem Buch greife, weil ich es unbedingt lesen will! Aber bei diesem Buch ist genau das passiert! Ich konnte es nicht zur Seite legen und habe es glaube ich in unter 2 Tagen verschlungen! Ich liebe es mittlerweile absolut, wenn Bücher mich quasi zwingen, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken! Dabei haben natürlich auch die kurzen Kapitel und der treibende Schreibstil der Autorin sehr geholfen!

NEGATIV

  • Die Betrachtung war mir an manchen Stellen zu simpel und zu unbedacht

Ich hatte wirklich gehofft, in diesem Buch auch Informationen zum strukturellen Rassismus und struktureller LGBTQ+-Diskriminierung zu finden, allerdings habe ich nichts davon gefunden. (Im Sinne von gesellschaftlich. In der Justiz habe ich ja gerade beschrieben, dass man es gesehen hat und ich es gut fand!) Klar betrachten wir hier einen Einzelfall, aber es ist doch wohl erwähnenswert, warum gewisse Glaubenssätze sich einfach konsequent halten und warum die Polizei sich mehr auf Schwarze fokussiert und warum die Kriminalität in dieser Menschengruppe sehr viel höher zu sein scheint und warum dort immer noch veraltete Denkmuster herrschen. Das Warum in diesem Fall wurde mir einfach zu wenig abgeklärt. Ebenfalls von der LGBTQ+-Seite, da wurde auch nicht erklärt, wieso nun genau diese Menschen Diskriminerung erfahren und wie häufig manche Übergriffe passieren können. Einzelfälle müssen mit großem Respekt vor den Individuen behandelt werden. Aber ebenso muss auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingegangen werden!

  • Diese realen Menschen konnten mich manchmal nicht abholen

Man denkt ja eigentlich, dass diese Menschen einen besonders gut abholen können, weil sie eben reale Vorlagen haben. Sie sind eigentlich echt und aus Fleisch und Blut, allerdings blieben sie in diesem Buch immer und immer wieder blass. Das ist besonders schade, da ja gerade die starke Bindung zu den beiden Protagonisten die Handlung nach vorne bringen sollte und den Leser neugierig auf die weiteren Ereignisse machen soll. Hat mich ehrlich gesagt ein wenig enttäuscht.


Fazit

Dieses Buch ist unglaublich wichtig. Es zeigt wunderbar auf, wie verschiedene Seiten beleuchtet werden können, ohne eine Seite klar zu “bevorzugen”. Es zeigt, wie sehr ein Hate Crime auch in den USA und auch in Deutschland ein Problem sein kann. Es zeigt, wie man aber trotzdem sehen muss, dass es Menschen sind, die hier miteinander umgehen und Menschen auch aus Fehlern lernen können. Es schlägt wunderbar die Brücke zwischen dem Aufzeigen der Missstände und der humanen Behandlung des Vorfalls. Ich empfehle dieses Buch wirklich jedem, der gerne einen gut beleuchteten Fall der Probleme der Justiz in den USA sehen möchte und auch allen, die sich dafür interessieren, wie so etwas überhaupt passieren kann.

4,5 von 5 Tintenklecksen
 

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