Die Sache mit dem roten Lippenstift

Ich trage gerne roten Lippenstift.

Ich bin kein Magier mit meinem Make-Up, ich kaufe nicht die teuersten Produkte, ich experimentiere nicht viel. Aber mit meinem Lippenstift habe ich etwas gefunden, mit dem ich mich unfassbar wohlfühle, das mich ein Stück weit definiert.

Und in diesem Beitrag geht es nicht direkt um den Lippenstift und seine Farbe, sondern auch darum, wie er wahrgenommen wird, wie ich ihn für mich selbst neu definieren möchte und den Hashtag #RedMyLips.


Der rote Lippenstift

Der rote Lippenstift war schon immer ein starkes Symbol.

Von der Geschichte des Lippenstifts an sich ganz zu schweigen, ist gerade die knallrote Farbe immer auch Signalfarbe.

Allerdings gab es immer unterschiedliche Bedeutungen.

Natürlich kennt jeder die Büste der Nofretete, deren rote Lippen immer noch faszinieren, und bei den alten Ägyptern war es tatsächlich für Männer und Frauen üblich, sich die Lippen mit verstoßenen Edelsteinen und zerdrückten Insekten zu schminken, war aber nicht selten zu Krankheit und Tod führen konnte.

Im alten Rom dagegen war Schminke ein großes Tabu, da diese nur Künstlern und Prostituierten vorenthalten war.

Auch zu Zeiten von Königin Elizabeth I. war es üblich, die Lippen zu schminken, allerdings eher, um den Kontrast zur weiß gepuderten Haut zu vergrößern.

Im 18. Jahrhundert war in England Schminke absolut verpönt, während sich in Frankreich selbst die oberste Schicht regelmäßig schminkte.

Im späten 19. Jahrhundert waren rote Lippen für die meisten Frauen unbezahlbar und symbolisierten damit Wohlstand, bis eine französische Schauspielerin es in den Trend brachte und damit einen Trend der gesamten Branche lostrat.

Für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Frau: Die Sufragetten trugen ihn nämlich bei ihrem Marsch durch New York im Jahre 1912!

In den 50ern war Marilyn Monroe nicht nur eine Stilikone, sie machte sich auch den roten Lippenstift zu eigen, ebenso wie später ihre Kollegin Rita Hayworth und in den 80ern Madonna mit den allerersten MAC-Lippenstiften.

Auch heute tragen den roten Lippenstift viele Stars regelmäßig, ein paar davon sind Taylor Swift, Rihanna und Kate Moss.

Heutzutage kann man also sagen: Rot hat sich zu einer zeitlosen Lippenfarbe entwickelt, die sich aus vielen Schminkkästen nicht mehr wegdenken lässt, und sei es nur für einen besonderen Anlass.

Die rote Farbe stand schon immer für Sinnlichkeit, Verführung und Schönheit. Daran ändert sich nichts. An ihrer Perzeption in der Gesellschaft allerdings schon.

beauty-girl-lip-gloss-6393.jpg


Wie ich damit wahrgenommen werde

Zuallererst muss gesagt werden, dass ich natürlich nicht sofort den Mut hatte, meine Lippen regelmäßig rot zu schminken.

Ich habe eine ganze Weile lang meine Lippen gar nicht oder nur sehr dezent geschminkt. Ich kann heute auch gar nicht mehr sagen, wie ich dazu gekommen bin, aber ich war sofort absolut verzaubert.

Diese Lippenstifte lassen mich in den Spiegel schauen und sagen: Das bin ich, so fühle ich mich wohl in meiner Haut.

Auch ungeschminkt finde ich mich okay, aber gewisse Schminke gibt meinem Selbstbewusstsein einfach einen riesengroßen Schubser.

Ich experimentiere, weite aus, liebe diese Farbe mit jedem Mal mehr.

Und es gibt sehr viele unterschiedliche Reaktionen darauf.

Ein paar Leute aus meinem Umfeld meinen immer wieder, ich würde ja mehr aussehen wie ein Clown, als wie ein Mädchen, ich würde eine Zirkusnummer abziehen, ich würde einfach nicht aussehen, wie “alle auf der Straße”.

Und da frage ich mich ganz ehrlich, was daran so schlimm sein soll. Will ich denn aussehen wie alle anderen? Will ich in der Masse untergehen? Will ich mich dem Diktat der Masse unterwerfen?

Ich fühle mich so unfassbar wohl und das wird auch immer so bleiben. Vielleicht ändert sich die Häufigkeit oder einfach meine Selbstwahrnehmung, aber das zu tragen und so auszusehen wie alle anderen werde ich immer langweilig finden.

Was nicht heißt, dass ich mich zwanghaft der Masse entgegensetze. Ich mache mein Ding. Und da müssen alle anderen mit klarkommen.

Es gibt auch lustige Reaktionen, denn manche Menschen fragen mich tatsächlich an einem Tag, wo mir das Schminken morgens einfach zu viel war: “Wer bist du denn? Ich hab dich ohne deinen Lippenstift gar nicht erkannt!”

Ich bekomme auch regelmäßig Komplimente, was mich natürlich unfassbar freut, da ich auch eine ganz andere Selbstsicherheit habe, wenn ich mich in meiner Haut wohlfühle.

Und ein paar Leute haben mich tatsächlich schon nach Tipps zum Auftragen und Aussuchen gefragt, obwohl ich wirklich kein Experte bin!

Aber natürlich muss es auch die geben, die es “affig”, “übertrieben” und “viel zu viel” finden. Diese Leute gibt es, die muss ich aushalten, aber ich wünschte, dass eben solche Kommentare nicht so sehr an mir nagen würden. Aber mittlerweile kann ich damit auch ganz gut umgehen.


Was er mich gelehrt hat

Dieser Lippenstift ist mittlerweile sogar eine Art Erkennungszeichen für mich geworden. Leute erkennen mich. Leute erinnern sich daran und ein stückweit identifiziere ich mich auch mit diesem Stück Chemikalien in einer Metallbox.

Ich bin nicht von Make Up besessen, ich habe keine Probleme mit meinem Selbstbewusstsein, ich bin niemand, der verzweifelt nach Aufmerksamkeit sucht oder diese erregen will.

Ich fühle mich damit schön. Es ergänzt meine Persönlichkeit. Er gehört zu mir.

Und damit müssen andere umzugehen lernen. Schiefe Blicke, komische Kommentare, alle diese Dinge, die nur zeigen, wie sehr auch die Leute in einer Großstadt nicht vorurteilsfrei sind und damit immer noch unterschiedliche Dinge assoziieren.

Was nicht schlimm ist. Aber trotzdem wünsche ich mir manchmal doch weniger verwirrte Blicke und mehr Akzeptanz dafür, dass ich mich selbst damit ausdrücke.

Kurzum: Es empowert mich und zeigt gleichzeitig, wer mit seinen Denkmustern noch ein wenig zurückhängt.

beautiful-beauty-face-17737.jpg


Was er bei anderen bewegt

Wenn ich über diese Ereignisse spreche, bin ich immer wieder verdammt erstaunt und zutiefst gerührt.

Ich bekomme tatsächlich mit einiger Regelmäßigkeit Nachrichten auf Twitter oder Instagram, die mir sagen, dass sie sich wegen mir getraut haben, Lippenstifte zu kaufen, zu tragen und selbstbewusst neues Make Up auszuprobieren und zu tragen.

Ihr wisst gar nicht, was für tolle Gespräche dabei teilweise entstehen, auch wenn es auf der sachlichen Ebene natürlich “nur” um Lippenstifte geht.

Jedes Mal geht mein Herz absolut auf und ich kann gar nicht fassen, dass ich ein kleines Stück dazu beigetragen hab, dass diese Menschen sich trauen, etwas aus sich rauszukommen und sich selbst schön zu finden, auch wenn negative Kommentare folgen können.

YOU ARE AWESOME!


#RedMyLips

ewIeH89D_400x400.jpeg

In diesem gesamten Zusammenhang möchte ich euch gerne auf die Kampagne #RedMyLips hinweisen.

Bei dieser soll einen ganzen Monat lang roter Lippenstift getragen werden, um auf sexuelle Übergriffe und Gewalt aufmerksam zu machen und sich gegen das häufig verbreitete Victim Blaming zu stellen.

Victim Blaming meint dabei, dass man die Schuld an sexuellen Übergriffen eher auf das Opfer abwälzt und dabei sinngemäß sagt: “Ja, wenn sie sich schon so angezogen hat! Dann muss sie sich nicht wundern!” oder eben auch “Wenn sie sich so auffällig schminkt, muss sie sich nicht wundern!”

Hier kommt ihr zur Website der Kampagne: www.redmylips.org

Warum gerade roter Lippenstift? Das erklären die Verantwortlichen selbst sehr gut:

Why red lipstick?

One of the most pervasive myths about sexual violence is that it is provoked by attraction or desire. Connected with this, victims are often blamed, shamed, and forced to suffer in silence. Given its connection with sexuality and attraction, red lipstick seems a fitting weapon with which to combat these damaging myths and victim-blaming attitudes. It gives supporters an easy (and safe) way to stand together and make the bold statement that victims are NEVER responsible for sexual violence. EVER.

Bei dieser Kampagne werde ich sehr gerne mitmachen, meine Lippen den ganzen April hindurch rot schminken und spenden.

Einen besseren dafür Grund gab es noch nie!


Diskussions-Runde!

Wie steht ihr zu auffälligem Make Up? Wie fühlt ihr euch am wohlsten? Und werdet ihr vielleicht sogar bei #RedMyLips mitmachen?

 

35 Comments

  1. Pingback: Durchgeklickt: März 2018 - Frankly, my dear...

  2. Pingback: Viel gelesen, nix geschafft | Mein April | Ravens Bookish Paradise

  3. Pingback: Zusammenfassung April

  4. Pingback: Lovely Bloggestöber #18 |

  5. Pingback: Viel gelesen, nix geschafft | Mein April – Ravens Bookish Paradise

  6. Pingback: Herzensthemen April – Ravens Bookish Paradise

  7. Pingback: I don’t know about you, but I’m feeling 22 - #RedMyLips - Buchstabensalat

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*